BFH: Pflicht zur Nutzung des beSt für Steuerberatungsgesellschaften ab dem 01.01.2023

Der BFH hat mit Beschluss vom 23.01.2024, IV B 46/23, zur Frage Stellung genommen, ab welchem Zeitpunkt Steuerberatungsgesellschaften verpflichtet sind, das besondere elektronische Steuerberaterpostfach zu benutzen.

Der BFH entschied, dass Berufsausübungsgesellschaften nach § 3 Satz 1 Nr. 2, § 49 des Steuerberatungsgesetzes, die in das Steuerberaterverzeichnis eingetragen sind, gemäß § 52d Satz 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung verpflichtet sind, seit dem 01.01.2023 das besondere elektronische Steuerberaterpostfach zu nutzen.

Der BFH hatte außerdem über die Auslegung des § 52d Satz 3 FGO zu entscheiden. Nach § 52d Satz 3 FGO bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften (zum Beispiel durch Telefax) zulässig, wenn dem nutzungsverpflichteten Einreicher eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 52d Satz 4 FGO). § 52d Satz 3 FGO greift bei technischen Problemen im Rahmen der Verwendung des vollständig eingerichteten beSt ein. In einem derartigen Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns im Sinne des § 52d Satz 4 FGO ist eng zu fassen (vgl. BGH-Beschluss vom 21.06.2023 – V ZB 15/22, NJW 2023, 2883, Rz 22, zu § 130d Satz 3 ZPO). Zur Glaubhaftmachung gehört jedenfalls eine Schilderung der tatsächlichen Umstände, die eine vorübergehende technische Unmöglichkeit rechtfertigen können.

LG Saarbrücken: Haftung bei Beschädigung der Tür eines parkenden Fahrzeugs

Das LG Saarbrücken hatte in einem Berufungsverfahren über Ansprüche auf Schadensersatz zu entscheiden, denen eine Beschädigung einer geöffneten Tür eines parkenden Fahrzeugs zugrunde lagen.

Folgendes hatte sich ereignet:

Die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte sind die Erben des am 16.08.2021 verstorbenen X der zum Zeitpunkt des Unfallereignisses mit seinem von ihm gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug die Y-Straße Richtung A befuhr, als der Kläger sein von ihm gehaltenes Fahrzeug, das am Straßenrand parkte, durch die hintere Tür auf der Fahrerseite belud. Hierbei kam es zu einer Kollision des Beklagtenfahrzeugs mit der am klägerischen Fahrzeug geöffneten Fahrzeugtür. Die Drittbeklagte regulierte ausgehend von einer Schadensteilung den Schaden am klägerischen Fahrzeug in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands von 3.135,00 Euro und einer Kostenpauschale von 25,00 Euro zzgl. der sich aus diesem Betrag ergebenden vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Der Kläger hat behauptet, die hintere linke Tür seines Fahrzeugs sei im Zeitpunkt der Kollision nur leicht geöffnet gewesen und habe nicht in den Verkehrsraum hineingeragt. Dies sei für heranfahrende Fahrzeuge bereits aus einigem Abstand erkennbar gewesen. Der Unfallgegner sei mit unzureichendem Seitenabstand am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren und habe dabei die Tür beschädigt, wobei er hierbei den Verkehrsraum verlassen habe.

Die Beklagten haben behauptet, die Tür des klägerischen Fahrzeuges sei plötzlich geöffnet worden, als sich das Beklagtenfahrzeug der späteren Unfallstelle genähert habe. Ein Ausweichen oder Bremsen sei nicht mehr möglich gewesen.

Das LG Saarbrücken entschied mit Urteil vom 10.11.2023, 13 S 8/23 (Leitsätze):

1.Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm. eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.

2.Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO tritt erster komplett zurück, wenn der Fahrer des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür mit dem Verladen von Gegenständen befasst ist.

Der Volltext des Urteils ist unter https://recht.saarland.de/bssl/document/JURE230058547/part/L zu finden.

LG Saarbrücken: Anspruch auf Unterlassung von Videoaufnahmen

Das LG Saarbrücken entschied mit Urteil vom 13.10.2023, Az. 13 S 32/23, (= https://recht.saarland.de/bssl/document/JURE230057218/part/L) über einen mittels einstweiliger Verfügung geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung von Videoaufnahmen durch mehrere Kameras, die vom Nachbargrundstück auf das Grundstück des Antragstellers gerichtet gewesen sein sollen.

Das Gericht entschied (LS):

1.Ein Anspruch auf Entfernung von durch den Nachbarn installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet.

2.Ein Anspruch auf Unterlassung von Videoaufzeichnungen scheidet aus, wenn nicht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers betroffen ist. Dies ist der Fall, wenn die durch den Nachbarn installierten Kameras lediglich Ausschnitte des Nachbargrundstücks erfassen können, welche nicht durch den Mietvertrag des Klägers erfasst sind und der Grundstückseigentümer mit einer Videoaufzeichnung einverstanden ist.

Das LG Saarbrücken begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Dem Kläger steht schon deshalb kein Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, weil ein Störer nur dann zu einer konkreten Maßnahme verurteilt werden kann, wenn allein diese Maßnahme den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; LG Hamburg, Urteil vom 28. Dezember 2018 – 306 O 95/18 –, juris, Rn. 31). Hier sind neben der Entfernung als einschneidenste Maßnahme auch andere Abhilfemöglichkeiten denkbar, durch die der Kläger in gleicher Weise geschützt werden könnte. Es käme – sofern der klägerische Bereich betroffen wäre – insbesondere eine Neuausrichtung der Kameras dergestalt in Betracht, dass nur noch solche Grundstücksteile betroffen sind, welche nicht zu dem Bereich des Klägers gehören.

Die beiden neuen Kameras können nun aber nur noch das eigene Grundstück des Beklagten sowie einen kleinen Teilbereich des Gartens des klägerischen Grundstücks erfassen. Hiervon konnte sich die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2023 durch Einsichtnahme in die Videoübermittlungen des Beklagten auf dessen Mobiltelefon überzeugen. Da der teilweise erfasste Garten des klägerischen Grundstücks durch die Vermieterin des Klägers nicht an diesen mitvermietet wurde, hat der Kläger aber kein Recht, den von der Kamera betroffenen Bereich zu betreten. Schon deshalb ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht betroffen. Im Übrigen ist die Vermieterin des Klägers unstreitig mit einer etwaigen Aufnahme ihres Gartens einverstanden.

OLG Saarbrücken: Vergütung eines vorzeitig aus dem Amt entlassenen Testamentsvollstreckers

In dem u.a. Fall wurde der Beklagte von unserer Kanzlei RAe Münster & Russo PartGmbB vertreten. Die Entscheidung ist unter https://recht.saarland.de/bssl/document/JURE230052655/part/L
im Volltext abrufbar.

Der Kläger macht mit seiner Klage gegenüber dem Beklagten Vergütungsansprüche aus seiner Tätigkeit als ehemaliger Testamentsvollstrecker über den Nachlass der am 5. November 2011 verstorbenen Frau D. (im Folgenden: Erblasserin) geltend. Er wurde mit Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Homburg vom 19. Juli 2019 – 8 VI 505/13 – gemäß § 2227 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grunde entlassen, zugleich wurde der Beklagte zum neuen Testamentsvollstrecker über den Nachlass bestellt.

Der Kläger hat sich angesichts der entsprechenden testamentarischen Anordnung der Erblasserin für berechtigt gehalten, für die von ihm ausgeübte Tätigkeit eine Vergütung nach Maßgabe der „Neuen Rheinischen Tabelle“ zu fordern. Vermeintliche Pflichtverletzungen, wie sie der Beklagte, gestützt auf den Beschluss des Senats vom 6. August 2019 aufzeige, seien bei Lichte betrachtet überhaupt nicht gegeben, jedenfalls rechtfertige dies nicht die Annahme einer vollständigen Verwirkung seines Vergütungsanspruchs, der auch im Übrigen der Höhe nach angemessen sei. Verzögerungen in der Abwicklung des Nachlasses seien durch besondere Schwierigkeiten, insbesondere aufgrund von Auseinandersetzungen im Erbscheinverfahren, bedingt gewesen, in der Zeit vom 13. Dezember 2011 bis zum 10. Oktober 2016, der Rücknahme der Beschwerde durch den Ehemann der Antragstellerin, habe seine Tätigkeit mehr oder weniger geruht. Auskunftspflichten gegenüber einzelnen (vermeintlichen) Miterben habe er nicht gehabt und daher sowie angesichts der zunehmend persönlichen Anwürfe ihres Verfahrensbevollmächtigten auf entsprechende Anfragen berechtigterweise nicht mehr reagiert.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten mit Auffassung, der Kläger habe seine Pflichten als Testamentsvollstrecker derart massiv verletzt, dass dies eine Verwirkung seines Vergütungsanspruches, zumindest aber seine Kürzung (Bl. 91 GA) rechtfertige. Schon in dem Beschluss vom 6. August 2018 – 5 W 2/18 – habe der Senat festgestellt, dass erhebliche Verdachtsmomente im Sinne einer eigenen Bevorteilung des Klägers und einer groben Verkennung und Vernachlässigung der den Erben gegenüber bestehenden Pflichten vorgelegen hätten; insbesondere habe der Kläger seine Auskunftspflichten aus §§ 2218, 666 BGB dadurch verletzt, dass er in Bezug auf die Eigentumsübertragung des Hausanwesens auf seine Ehefrau Belege nur verspätet vorgelegt habe. Außerdem habe er nachhaltig gegen seine Pflichten zur unaufgeforderten Benachrichtigung sowie zur Erteilung begehrter Auskünfte nebst Unterlagen gegenüber der Erbengemeinschaft verstoßen; der erst im Juni 2020 vorgelegte Tätigkeitsbericht sei zur Erfüllung der Pflicht zur unverzüglichen Vorlage eines Nachlassverzeichnisses nach § 2215 Abs. 1 BGB nicht mehr geeignet gewesen. Aufrechenbare Schadensersatzansprüche rechtfertigten sich daraus, dass der Kläger erst im Jahre 2020 geeignete Belege zu den Rentenzahlungen vorgelegt und dem Nachlass durch diese Pflichtverletzung und das aus diesem Grunde gebotene Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des Nachlassvermögens Kosten in – unstreitiger – Höhe von 5.253,85 Euro entstanden seien.

Das Landgericht Saarbrücken hat den Beklagten unter Klagabweisung im Übrigen zur Zahlung von 20.669,73 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26. Juni 2021 verurteilt.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien jeweils selbständig Berufung eingelegt. Der Beklagte verfolgt mit seiner Erstberufung sein vormaliges, auf vollständige Klagabweisung gerichtetes Begehren weiter. Er wiederholt seine Ansicht, der Kläger habe seinen Vergütungsanspruch in voller Höhe verwirkt; hierfür sei nicht die Verwirklichung einer Straftat erforderlich, es genügten auch massive Verstöße gegen Treue- und Sorgfaltspflichten, die hier daraus folgten, dass der Kläger gegen seine „Kardinalpflichten“ zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses (§ 2215 Abs. 1 BGB) und zur Auskunft und Rechnungslegung (§§ 2218, 666 BGB) verstoßen habe.

Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 26.07.2023, Az. 5 U 98/22, entschieden: Auf die (Erst-)Berufung des Beklagten wird das am 30. November 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 9 O 122/21 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.291,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26. Juni 2021 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die (Zweit-)Berufung des Klägers gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.

Das OLG begründete dies wie folgt:

Gründe, die zur Entlassung des Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB geführt haben, müssen nicht stets auch für die Verwirkung seines Vergütungsanspruchs ausreichen. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem Sach- und Streitstand bei der Entscheidung des Prozessgerichts über den Vergütungsanspruch und nicht nach dem Kenntnisstand des Nachlassgerichts zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Amtsenthebung.

Hat der Erblasser im Jahre 2010 angeordnet, dass sich die Vergütung des Testamentsvollstreckers „nach den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins für die Vergütung des Testamentsvollstreckers in ihrer jeweils gültigen Fassung berechnet“, so verweist dies auf die Vorgaben der sog. „Neuen Rheinischen Tabelle“. Das dem Testamentsvollstrecker eingeräumte, im Zivilprozess über die Angemessenheit der Vergütung voll nachprüfbare Ermessen bei der Bestimmung der Vergütung nach §§ 315 ff. BGB wird dadurch eingeschränkt mit der Folge, dass die auf einer unzutreffenden Anwendung der Tabelle beruhende Abrechnung unverbindlich und durch gerichtliche Entscheidung zu korrigieren ist.

BGH: Pflicht eines Rechtsanwalts bei umfangreicheren Sachen eine Vorfrist einzutragen

Der BGH hat in einem Beschluss vom 21.06.2023, XII ZB 418/22 (=, http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/1xt/page/bsjrsprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=3&numberofresults=147&fromdoctodoc=yes&doc.id=jb-KORE304732023&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint) zu den Pflichten eines Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit dem Notieren von Fristen Stellung genommen.

Danach hat ein Rechtsanwalt durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anweisung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist im Fristenkalender zu notieren.

In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein dem Beteiligten nach § 113 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden seines Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH Beschlüsse vom 20. September 2022 – VI ZB 17/22 – NJW-RR 2022, 1717 Rn. 7 und vom 6. Oktober 2020 – XI ZB 17/19 – juris Rn. 9 mwN).

AG Hanau: Doppelhaushälfte ist Einfamilienhaus

Das AG Hanau hat mit Urteil vom 07.07.2023, Az. 34 C 126/23 = https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230004762/part/L, entschieden, dass ein im Mietspiegel bei der Bestimmung der ortsüblichen Miete ausgewiesener Zuschlag für Einfamilienhäuser auch für Doppelhaushälften gilt. Das Einfamilienhaus müsse nicht allein- oder freistehend sein. In dem entschiedenen Fall ging es um einen Zuschlag gemäß Mietspiegel in Höhe von 25%. Auch eine Doppelhaushälfte verfüge gegenüber einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus über Vorzüge, die einen Zuschlag von 25 % rechtfertigen. So müsse der Mieter eine Doppelhaushälfte keine anderen Mieter etwa im Treppenhaus dulden. Darüber hinaus gehe mit der Anmietung einer Doppelhaushälfte üblicherweise auch die Nutzung des Grundstücks (Garten) einher, was sich ebenfalls in einem höheren Gebrauchswert niederschlage.

SG München: Einzelfall einer Nicht-Anerkennung von Mobbing als Arbeitsunfall

Die Klägerin erlitt einen Unfall, als sie bei einem Gespräch mit dem Vorgesetzten im Stuhl zusammensackte und eine akute psychische Belastungssituation mit a. e. psychogener Synkope erlitt.

Die Klägerin will mit ihrer Klage die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall erreichen, da dem Unfall Mobbing auf der Arbeitsstelle vorangegangen sei.

Das Sozialgericht München lehnte mit Gerichtsbescheid vom 16.03.2023, S 9 U 396/20, diese Anerkennung als Arbeitsunfall ab (https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2023-N-6872?hl=true).

Das Gericht begründete dies wie folgt:

Für die Anerkennung von Mobbing als Arbeitsunfall ist zu berücksichtigen, dass ein Arbeitsunfall immer ein punktuelles, auf eine Arbeitsschicht begrenztes Ereignis erfordert, das zu einem Gesundheitsschaden führt. Problematisch ist dabei, dass beim Mobbing der Definition nach nicht einzelne, abgrenzbare Handlungen, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte in einem Prozess zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit des Betroffenen führen können. Damit kann Mobbing in der Regel nicht zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls führen. Ein einzelnes abgrenzbares Gespräch mit Vorgesetzten kann einen Arbeitsunfall darstellen, insbesondere ein ernsthafter und intensiver Streit, in dessen Verlauf unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht werden und die unschön, unharmonisch und frostig enden und bei dem sich eine geistig-seelische bzw. psychische Einwirkung erkennen lässt, durch welche sich der physiologische Körperzustand der Versicherten ändert. Bei regelmäßigen und typischen Gesprächen im Beschäftigungsbereich, bei denen es nicht um arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber der Versicherten geht, liegt eine solche Einwirkung nicht vor.

OLG Hamm: Zur Nichtigkeit eines Kaufvertrages

Der Beklagte war Inhaber eines Sportstudios und Eigentümer der zugehörigen Einrichtungsgegenstände. Die Parteien unterzeichneten ein als „Kaufvertrag über ein Einzelunternehmen“ bezeichnetes Dokument, in dem es auszugsweise heißt: Der [Beklagte] beabsichtigt, sein Unternehmen, das Sportstudio A […] durch den Verkauf sämtlicher Einrichtungsgegenstände, Gerätschaften und Verträge an [die Klägerin] zu übertragen. […] Der vereinbarte Kaufpreis beträgt 5.000 Euro.“ Darüber hinaus vereinbarten die Parteien mündlich, dass die Klägerin über den schriftlich festgehaltenen Betrag von 5.000 € hinaus weitere 30.000 € als Kaufpreis an den Beklagten zahlt, der Kaufpreis insgesamt also 35.000 € beträgt.Die Klägerin zahlte an den Beklagten mindestens 1.000 €. Der Beklage übergab das Sportstudio am 30.04.2018 an die Klägerin. Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 03. sowie 05.09.2018, dass er vom Vertrag zurücktrete, was die Klägerin mit Schreiben vom 17.09.2018 akzeptierte. Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, es sei mit dem Beklagten abgesprochen gewesen, dass die Zahlung der weiteren 30.000 € in bar „an der Steuer vorbei“ erfolgen solle. Sie habe – neben den unstreitig überwiesenen 1.000 € – Beträge in Höhe von 25.000 € am 04.05.2018 und weitere 5.000 € am 05.05.2018 an den Beklagten gezahlt. Mit der am 12.10.2018 eingereichten und dem Beklagten am 03.01.2020 zugestellten Klage hat die Klägerin die Rückzahlung der von ihr behaupteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 31.000 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Sportstudios begehrt. Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 06.02.2023, Az. 2 U 78/22, (= https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2023/2_U_78_22_Urteil_20230206.html) das Urteil des LG Dortmund abgeändert und die Klage abgewiesen.

Ein in schriftlicher Form geschlossener Kaufvertrag, in dem der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis zum Zwecke der Steuerverkürzung wahrheitswidrig zu niedrig angegeben wird, kann gemäß § 134 BGB i. V. m. § 370 AO nichtig sein. Die Rechtsprechung des für Werkrecht zuständigen VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu „Schwarzarbeitsfällen“ kann bei Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch auf das Kaufrecht zu übertragen sein. Ein Anspruch auf Rückforderung des geleisteten Kaufpreises kann bei Nichtigkeit des Kaufvertrages auf Grund eines Verstoßes gegen § 370 AO gemäß § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen sein.

OLG Karlsruhe: Beginn der Strafantragsfrist bei Beleidigungen in sozialen Netzwerken

Mit Urteil vom 18.01.2023, 2 Rv 34 Ss 589/22, (http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Art=en&Datum=2023&nr=38563&pos=8&anz=26) hat das OLG Karlsruhe über den Beginn der Strafantragsfrist bei Beleidigungen in sozialen Netzwerken entschieden.

Das von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsmittel gegen die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Amtsgerichtes F. vom 27.04.2018 und die insoweit erfolgte Einstellung des Verfahrens wegen Beleidigung in fünf tateinheitlichen Fällen hatte vorliegend Erfolg, denn das Landgericht war zu Unrecht vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses ausgegangen.

Das Landgericht hatte die Annahme eines Verfahrenshindernisses damit begründet, dass nicht sicher habe festgestellt werden können, dass die Strafantragsfrist gemäß § 77b Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB von drei Monaten ab Kenntniserlangung von den fünf Strafantragstellern jeweils eingehalten worden sei. Ausweislich der Feststellungen in den Urteilsgründen gingen die Strafanträge der fünf Antragsteller im Zeitraum 21.03.2016 bis 04.04.2016 bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ein. Der Vorsitzende hatte im Freibeweisverfahren Stellungnahmen der Strafantragsteller dazu eingeholt, wann diese erstmals Kenntnis von dem Facebook-Eintrag mit der Fotomontage auf dem Facebook-Account des Angeklagten erlangt hatten. Das Landgericht ist unter Darlegung der einzelnen Antworten der Strafantragsteller zu der Überzeugung gelangt, dass nicht mehr aufklärbar und damit sicher festzustellen sei, wann die Antragsteller tatsächlich erstmals von der verfahrensgegenständlichen Fotomontage auf der Facebook-Seite des Angeklagten erfahren hatten.

Das OLG Karlsruhe hat mit der o.a. Entscheidung die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht aufgehoben und die Sache an das Landgericht zur Entscheidung zurückverwiesen.

Das OLG begründete dies damit, dass beim Tatbestand der Beleidigung der Zeitpunkt der Vollendung der Tat und der Zeitpunkt der Beendigung der Tat auseinanderfallen können.  Stellt der Täter einen ehrverletzenden Beitrag im Internet auf seinem eigenen sozialen Netzwerk-Account ein, so ist die Tat, weil die Beleidigung als Erfolgsdelikt den Zugang der Äußerung erfordert, mit der erstmaligen Wahrnehmung des ehrverletzenden Beitrags durch den Betroffenen oder einen Dritten vollendet. Beendet ist eine solche Beleidigung hingegen erst in dem Zeitpunkt, in dem der vom Täter eingestellte und mit seinem Wissen und Wollen online gehaltene Beitrag gelöscht oder jedenfalls nicht mehr wahrgenommen wird. Denn bis zu diesem Zeitpunkt bestand für das geschützte Rechtsgut, die Ehre des Betroffenen, die spezifische Gefahrenlage über den Zeitpunkt der Vollendung der Tat hinaus fort und vergrößerte bzw. vertiefte sich auch mit jeder Kenntnisnahme der beleidigenden Äußerung durch weitere Personen. Fallen der Zeitpunkt der Vollendung und der Beendigung einer Beleidigung auseinander, kann die Antragsfrist des § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB auch erst mit Beendigung der Tat zu laufen beginnen. Denn zuvor ist dem Verletzten eine abschließende Beurteilung des Umfangs der Rechtsgutverletzung als Grundlage für die Entscheidung über die Stellung eines Strafantrags nicht möglich.

AG Düsseldorf: Keine Haftung für Filesharing „aufgrund des Ausschlussprinzips“

Mit Urteil vom 15.12.2022 (Az. 10 C 102/20) = https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/duesseldorf/ag_duesseldorf/j2022/10_C_102_20_Urteil_20221215.html hat das Amtsgericht Düsseldorf die Haftung eines Anschlussinhabers für Filesharing bezüglich Musikalben verneint und die Klage des Rechteinhabers abgewiesen. In dem betreffenden Fall hatte der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast genügt, indem er zu den im Haushalt lebenden Personen (Ehefrau und Sohn) unter Darlegung von deren Internetkenntnissen und sonstigen Umständen der Tatvorfälle nach Ansicht des Gerichts ausreichend vorgetragen hatte. Nach der Zeugenvernehmung durch das Gericht schied die Ehefrau nach Ansicht des Gerichts als Täterin aus, während das Gericht die Schilderung des Sohnes (nachfolgend Q2) bezüglich seiner eigenen Täterschaft für nicht plausibel hielt, so dass der Sohn im Ergebnis als einziger Täter ernsthaft in Betracht kam.

Das Gericht entschied in dieser prozessualen Situation wie folgt:

„Allein das mangelnde Einräumen der Rechtsverletzung durch den hier einzig in ernsthaft Betracht kommenden Täter der streitigen Rechtsverletzung, den Zeugen Q2, lässt einen Rückschluss auf die zwingende Täterschaft des Beklagten als Anschlussinhaber nicht zu, wenn das Gericht gemäß § 286 ZPO im Gegenteil davon überzeugt ist, dass eine Täterschaft des Beklagten höchstwahrscheinlich ausscheidet (vgl. LG Braunschweig, U. v. 1. Juli 2015 – 9 S 433/14). Die Vermutung einer Täterschaft lebt hier auch nicht dadurch wieder auf, dass kein Dritter mit Sicherheit als Täter ermittelt werden konnte. Zwar sind solche Fälle, in denen der Beklagte als Anschlussinhaber aufgrund des Ausschlussprinzips möglicher anderer Täter und Zeugen haftet, durchaus denkbar (LG Köln, U. v. 21. Juli 2022 – 14 O 152/19; LG Köln, U. v. 19. Mai 2022 – 14 O 244/20). Allerdings kann eine Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers nicht die in der Beweisaufnahme gewonnenen Überzeugung des Gerichts, dass der Anschlussinhaber als Täter ausscheidet, erschüttern.“