Das Amtsgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 12.03.2013 entschieden, Az.: 92 C 4921/12, dass dem Schriftformerfordernis für die Kündigung eines Mietvertrages durch die Übersendung einer Kopie eines Schriftsatzes, der mittels EGVP (elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach) eingereicht wird, nicht genügt wird.
Das Gericht führt aus:
„Ist die Kündigung in einem prozessualen Schriftsatz enthalten, so ist der Zugang einer vom erklärenden unterzeichneten Abschrift des Schriftsatzes beim Gegner erforderlich. Hat der Prozessbevollmächtigte des Vermieters die Kündigung selbst ausgesprochen und führt dieser als Rechtsanwalt den Prozess selbst, so wird dem Formerfordernis im Allgemeinen auch dann genüge getan, wenn der Anwalt den Beglaubigungsvermerk auf der Abschrift des Schriftsatzes unterschrieben hat (…). Zwar bezeugt die Unterschrift auf dem Beglaubigungsvermerk regelmäßig nur ihre Übereinstimmung mit der Urschrift, allerdings übernimmt der Prozessbevollmächtigte des Vermieters bei einem von ihm selbst unterschriebenen Beglaubigungsvermerk im Allgemeinen zugleich die Verantwortung auch für den Inhalt der Urkunde. Diesen Anforderungen wird die Übersendung einer Kopie eines Schriftsatzes, der mittels EGVP eingereicht wird, nicht gerecht. Hierbei kann es dahingestellt bleiben, ob es sich um einen förmlich zuzustellenden Schriftsatz, wie z.B. der Klageschrift handelt, bei der die Abschriften von der Geschäftsstelle zu beglaubigen sind (…) oder einen sonstigen Schriftsatz, bei dem die Beglaubigung durch die Geschäftsstelle nicht notwendig ist. Denn die Beglaubigung durch die Geschäftsstelle stellt keinen vom Vermieter oder seinem Bevollmächtigten unterschriebenen Beglaubigungsvermerk dar. Nur mit einem derartigen Beglaubigungsvermerk wird allerdings der Anforderung gerecht, dass der Kündigungsberechtigte bzw. sein Prozessbevollmächtigter mit der Beglaubigung zugleich auch die Verantwortung für den Inhalt der Urkunde übernimmt. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die gesetzliche Schriftform der Kündigung durch einen Prozessschriftsatz, der mit EGVP übermittelt wird, in der Regel nicht vorliegt.“
Die Kommentarliteratur sieht hinsichtlich der Schriftform die Einreichung der Kündigung mittels Fax nicht als ausreichend an, auch nicht zur Fristwahrung, lässt es aber genügen, wenn die Kündigung per Anwaltsschriftsatz erfolgt, sofern auf dem zugestellten Exemplar der Beglaubigungsvermerk unterschrieben ist. Die Rechtsfrage ist also, ob die Einreichung der unterschriebenen Kopie durch den Anwalt per EGVP einem unterschriebenen Beglaubigungsvermerk des Anwalts auf Papier gleichsteht.
Hinsichtlich Beglaubigungen ist zu unterscheiden in eine Beglaubigung einer Unterschrift, die alleine die Echtheit der Unterschrift und etwaiger Vertretungsberechtigungen bestätigen soll, nicht dagegen den Urkundeninhalt. Daneben gibt es die Beglaubigung einer Abschrift, die bestätigen soll, dass eine Abschrift inhaltlich mit der Vorlage (Urschrift) identisch ist. Diese Beglaubigung bescheinigt nicht zugleich die Echtheit oder Gültigkeit der Vorlage, sondern lediglich die inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Vorlage und der Abschrift. Der zweite Fall ist hier betroffen.
Auf der per EGVP eingereichten Kopie kann ein Beglaubigungsvermerk nicht angebracht werden, da dieser Beglaubigungsvermerk ebenfalls kopiert und nicht original unterschrieben wäre. Folglich wäre, da die Beglaubigung durch das Gericht die fehlende Beglaubigung durch den Rechtsanwalt nicht ersetzen kann, bei 1:1 Übertragung der Papierwelt auf die elektronische Welt die Beglaubigung einer Abschrift durch den Anwalt niemals mittels einer Einreichung per EGVP möglich. Genau so argumentiert das Amtsgericht Wiesbaden.
Man muss aber wissen, dass zur Wahrung der Vertraulichkeit von per EGVP versandten Nutzdaten Teile der generierten OSCI-Nachricht verschlüsselt werden. Daher werden bei Anlage eines jeden nicht anonymen Postfaches Zertifikatsinformationen vom Benutzer abgefragt oder ein eigenes Software-Zertifikat generiert und im Verzeichnisdienst hinterlegt. Hierzu muss sich der Inhaber des Postfaches zunächst identifizieren und legitimieren. Es ist von daher ausgeschlossen, dass ein Dritter, d.h. z.B. eine außerhalb der Kanzlei des betreffenden Rechtsanwaltes stehende Person, sich über dieses Postfach anmelden und hierüber Nachrichten versenden kann.
Ich plädiere daher vorliegend für folgende Auslegungsregel:
Kann ein elektronischer Vorgang den Ablauf in der Papierwelt nicht exakt nachbilden, muss es bei Auslegung nach dem Sinn und Zweck der mittlerweile seit dem Inkrafttreten des Justizkommunikationsgesetzes im Jahr 2005 auf Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs ausgerichteten Verfahrensvorschriften ausreichen, wenn der Rechtsanwalt als Inhaber des EGVP-Postfaches eine von ihm unterschriebene Kündigungserklärung per EGVP einreicht.
Die Legitimation des Inhabers ist nämlich bereits bei der Einrichtung des EGVP-Postfaches geprüft worden und eine mangelnde Übereinstimmung der Kopie mit dem Original könnte allenfalls mit einem Fälschungseinwand begründet werden.
Die oben genannte Entscheidung des Amtsgerichts Wiesbaden ist für den Elektronischen Rechtsverkehr, sehr gelinde gesagt, äußerst „kontraproduktiv“. Seit Jahren bemühen sich nicht wenige Personen in den Ministerien, den Gerichten, in der Rechtsanwaltschaft und unter den Notaren darum, den Elektronischen Rechtsverkehr voranzubringen. Vor wenigen Wochen wurde hierzu ein Gesetzentwurf zur „Förderung des Elektronischen Rechtsverkehrs“ auf den weiteren Weg gebracht. Hier hat bereits die Expertenanhörung stattgefunden. Diesen Bemühungen stehen Entscheidungen wie die vorliegende gegenüber, in denen deutlich wird, dass der Transfer von der Papierwelt in die elektronische Welt von der Praxis nicht vollzogen wird.