AG Mannheim: tatsächliche Vermutung in Filesharing-Fällen nicht mehr zeitgemäß

Das Amtsgericht Mannheim (Urteil vom 18.1.2017, U 10 C 1780/16 = http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Art=en&Datum=2017&Seite=1&nr=21848&pos=13&anz=27) hat die Klage eines Rechteinhabers gegen einen Anschlussinhaber mit Mehrpersonenhaushalt mit äußerst interessanter Begründung abgewiesen.

Das Gericht entschied zunächst, dass für den Fall, dass ein Rechteinhaber einen Internetanschlussinhaber, zu dessen Anschluss mehrere Familienangehörige Zugang haben, wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch nimmt, das Bestreiten der Verletzung unter gleichzeitiger Benennung der weiteren Zugangsberechtigten ausreichend (sog. sekundäre Darlegungslast) ist. Das Gericht führt insoweit die Überlegungen des EuGH, MMR 2016, 760 – „Mc Fadden“ fort.

Das Gericht führt aus, dass die vom BGH angenommene tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers angesichts der heute gängigen Nutzung des Internet in Familien nicht mehr zeitgemäß sei und nicht mehr durch einen empirisch nachweisbaren Erfahrungssatz getragen sei.

Zitat aus der Entscheidung:

„Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbstständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert. Der Anschlussinhaber genügt daher vorliegend seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass ein Hausgenosse selbstständig auf den Internetanschluss zugreifen könne, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes als die seiner Alleintäterschaft ergibt.“

Das Gericht begründet seine Haltung weiter damit, dass der EuGH eine Haftungsprivilegierung für Anbieter von sog. Hotspots angenommen habe und es damit nicht vereinbar sei, in einem überschaubaren privaten Bereich eines Familienverbundes strengere Maßstäbe anzulegen. Das Gericht meint, es sei dann jedem Anschlussinhaber konsequenterweise zu raten, den Internetanschluss öffentlich zugänglich zu machen und einen eigenen Hotspot einzurichten, um in den Genuss der Privilegierung nach der EuGH-Rechtsprechung zu kommen.

Das Gericht ist ferner der Ansicht, dass dem Anschlussinhaber konkrete Nachforschungen im Lichte des Art. 6 GG nicht zumutbar seien, eine Vermutung zu seinen Lasten sei mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht vereinbar.

Insgesamt eine äußerst interessante Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim zu der Haftung in Mehrpersonenhaushalten, die auch zeigt, wie unterschiedlich die Auslegung der durch die BGH-Rechtsprechung gemachten Vorgaben von den Amtsgerichten gehandhabt wird.